Hubert Schirneck ist freiberuflicher Schriftsteller, und er schreibt für Kinder und Erwachsene. 1989 erschien sein erstes Buch, ein Gedichtband mit einem Nachwort von Günter Kunert. Seitdem entstanden über zwanzig Bücher, die zudem in fünfzehn Sprachen übersetzt wurden. Aus seiner Feder stammen auch zahlreiche Radiogeschichten, insbesondere für die rbb-Sendung "Ohrenbär", und er bearbeitete Cervantes’ großen Roman “Don Quijote” für die Bühne.

Auszeichnungen: Niederrheinischer Literaturpreis; Österreichischer Kinder- und Jugendbuchpreis; Leipziger Lesekompass (Stiftung Lesen); Zehn besondere Bücher zum Andersentag; Thüringer Literaturstipendium; Übersetzungsförderung durch das Goethe-Institut für "Typisch Bär!".

 

Persönliches:

Ich wurde am 28. November 1962 in eine Arbeiterfamilie in Gera hineingeboren. Mein Vater, gelernter Buchdrucker, war nun Bergmann bei der Wismut, und meine Mutter arbeitete in der Texttilindustrie. Da ich mich nicht bereit erklärte, drei Jahre zur Armee zu gehen, war es mir unmöglich, das Abitur zu machen oder gar zu studieren. Im Gegenteil: Ich entschied mich schließlich sogar, den Wehrdienst komplett zu verweigern, was mich der Gefahr aussetzte, für mehrere Jahre ins Gefängnis zu gehen. Durch die Verkettung glücklicher Umstände entging ich dem Gefängnis. Ich glaube, einen Aufenthalt in Bautzen oder Schwedt hätte ich nicht sehr lange überlebt. Wie die Folter in einem DDR-Gefängnis einen Menschen zerstören kann, habe ich an meinem Onkel gesehen, der als politischer Häftling vier Jahre in Waldheim einsaß.

Ich absolvierte eine Ausbildung zum Industriekaufmann und hielt mich danach mit verschiedenen Jobs über Wasser. Nebenher schrieb ich Gedichte und hatte den großen Wunsch, Schriftsteller zu werden. Mir war freilich bewusst, dass ich damit in der DDR kaum eine Chance hatte, weil ich einfach nicht brav genug war. Das Verlagswesen war fest in staatlicher Hand, und jedes einzelne Buch musste von der Zensur genehmigt werden. Es war mir sehr früh klar, dass ich in diesem Unterdrückerstaat, der sich (wie es bei Diktaturen häufig üblich ist) selbst als „demokratisch“ bezeichnete, nie glücklich werden würde.

Man nannte die DDR gerne eine „Nischengesellschaft“. Ich persönlich fand meine Nische dort nicht. Die ständige Bevormundung, Meinungsunterdrückung und die gravierende Einschränkung der persönlichen Freiheit machten mir sehr zu schaffen. Ich sah nur die Möglichkeit, mich zu absentieren, und stellte immer wieder Ausreiseanträge, die immer wieder abgelehnt wurden. Ich hasste diese SED-Bonzen und ihren Staatssicherheitdienst, diese Faschisten im Karl-Marx-Gewand, die selbst heute noch ihr Unwesen treiben. Damals hatte ich den Eindruck, ich wäre der einzige Mensch, der sich in diesem System so unwohl und gänzlich deplatziert fühlte. Ich fühlte mich, als wäre ich der Staatsfeind Nummer eins. Heute weiß ich natürlich, dass das nicht so war. Es gab Hunderttausende, die sich gegen das Regime auflehnten und dafür teilweise im Gefängnis landeten.

Die Stasi hatte mich natürlich im Visier. Sie klingelten mich mitten in der Nacht aus dem Bett und nahmen mich zu einem Verhör mit, ohne dass ich überhaupt wusste, was mir vorgeworfen wurde. Diese Erfahrung habe ich in der Erzählung „Das Endspiel“ verarbeitet.

Mehrere Mitglieder unserer Schreibwerkstatt haben unabhängig voneinander über mich berichtet, was ich natürlich erst viel später beim Lesen meiner Stasi-Akte erfuhr. Etwas Halt gab mir in dieser Zeit ein Briefwechsel mit dem Dichter Günter Kunert, der in Schleswig-Holstein lebte. Natürlich wurden auch unsere Briefe von der Stasi mitgelesen.

Die wirkliche Demokratie ist mir aufgrund all dieser Erfahrungen sehr wichtig, und ich reagiere empfindlich auf Tendenzen, die diese Demokratie gefährden. In den letzten Jahren sind diese Tendenzen sehr auffällig.

Meine Erlebnisse in der DDR prägen mein Denken, mein Handeln und mein Fühlen bis heute. Aber ich hasse niemanden mehr. Ich bin privat und beruflich sehr glücklich. Ich habe zwei tolle Kinder, lebe in einer der schönsten Städte Deutschlands und ich kann seit vielen Jahren meinen Traumberuf ausüben, mit allen Höhen und Tiefen, die dazugehören.

Was die gesellschaftliche Entwicklung angeht, habe ich die Hoffnung, dass sich die demokratischen Kräfte am Ende immer durchsetzen. Den idealen Zustand kann und wird es sowieso nie geben. Aber diesen Zustand anzustreben ist nicht falsch. Und es wäre wünschenswert, wenn wir irgendwann in einer Gesellschaft leben könnten, in der Begriffe wie „demokratisch“ und „freiheitlich“ nicht mehr missbraucht werden können. Wie demokratisch ein Staat wirklich ist, misst sich nicht zuletzt daran, wie er mit Andersdenkenden umgeht.

 

Und das Schreiben? Das ist natürlich sehr viel mehr als ein Beruf. Es ist eine Art zu leben. Schreiben ist atmen.